1 Die Geschichte vom ?schlechten? Deutsch (Winifred Davies, Aberystwyth) 1. Unterschiedliche Bewertung sprachlicher Variation Warum w?rden manche LehrerInnen grammatische Formen wie ?die Tunnels? (statt ?die Tunnel?) oder ?In dem Moment, wo (statt: ?als? oder ?in dem?) er wegschaute, versteckte sie das Geld? als ?unkorrekt? anstreichen, obwohl Grammatiken sie zulassen? Wie kommen wir zu solchen negativen sprachlichen Normurteilen? In diesem Beitrag soll der Geschichte des ?schlechten? Deutsch nachgegangen werden. Die meisten zeitgen?ssischen SprachwissenschaftlerInnen sind VerfechterInnen der Differenztheorie, die besagt, dass alle Variet?ten, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, in ihren Ausdrucksm?glichkeiten und in ihrer logischen Analysekapazit?t einander funktional ?quivalent sind (Dittmar 1980, 128). Barbara Sandig zog aus dieser Theorie folgenden Schluss: [D]en richtigen Sprachgebrauch gibt es nicht. Es gibt nur verschiedene Arten von Sprachgebrauch, die als funktionale Stile in bestimmten Kommunikations- situationen kommunikativ angemessen sind und/oder aufgrund sozialer Normen erwartet werden. (Sandig 1973, 53) Dieser Ansatz hat aber wenig gemeinsam mit der tats?chlichen Praxis vieler ?gew?hnlicher? SprecherInnen. Diese tendieren doch stark dazu, Varianten und Variet?ten zu bewerten und sie als ?schlecht?/?falsch? oder ?gut?/?richtig? zu etikettieren. Dieses Hierarchisieren von Variet?ten und Varianten scheint in jeder Sprachgemeinschaft vorzukommen (vgl. Davies 1995, 4): linguistische Varianten werden eingesetzt um Menschen zu kategorisieren. In der Bibel kam der ?richtigen? Aussprache des Wortes Schibboleth eine sehr wichtige Rolle zu, da die falsche Aussprache den Sprecher als Mitglied eines feindlichen Stammes identifizierte, das dann get?tet wurde. Marginalie: Kasten 1 (?Schibboleth?) Marginalie: Kasten 2 (?Variation?) Wir bedienen uns immer noch sprachlicher Variation, um andere Menschen einzustufen: U. a. f?llen wir Urteile ?ber ihre Schichtzugeh?rigkeit, regionale Herkunft, ihre politischen Bekenntnisse und sogar ihre Charaktereigenschaften aufgrund ihrer Sprache. Sprache fungiert als wichtiges Sozialsymbol. In S?ddeutschland symbolisieren lokale Varianten Ortsloyalit?t und Solidarit?t mit anderen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft (vgl. Schuppenhauer/Werlen 1983, 1420), was dazu f?hren kann, dass SprecherInnen aus dem Norden, die die Standardvariet?t bzw. eine standardnahe Variet?t sprechen, als distanziert und arrogant angesehen werden. So sagte mir einmal ein Mannheimer Informant: die muttersprache [= der Mannheimer bzw. der Neckarauer Dialekt, WD] klingt n?her. die distanz ist geringer. es wirkt w?rmer. da ist der kontakt leischder zu kn?pfen. [...] der der wirkt menschlischer. (Davies 1995, 66) 2 Andererseits wird die Standardvariet?t oft als objektiv besser angesehen, was die Sprachwahl f?r SprecherInnen einer nichtstandardsprachlichen Variet?t erschweren kann, wenn sie versuchen, den verschiedenen Anforderungen einer Situation gerecht zu werden. In der Schweiz bedeuten solche ambivalenten Einstellungen, dass viele SprecherInnen Situationen ausweichen, in denen Schweizerhochdeutsch erwartet wird (vgl. Schl?pfer 1990, 194f.). Man sieht, dass es eine Kluft gibt zwischen dem deskriptiven Ansatz der Sprach- wissenschaftlerInnen und der Praxis vieler ?normaler? SprecherInnen. Zunehmend werden daher die subjektiven Aspekte des Sprachgebrauchs und die Bewertung von Varianten- und Variet?tenwahl Gegenst?nde der wissenschaftlichen Forschung (vgl. Wimmer 2003, Davies/Langer 2006). Hier spielt die Frage eine Rolle, wie es ?berhaupt zur Bewertung kommen kann, dass manche Varianten und Variet?ten besser oder schlechter sein k?nnten als andere. Die Geschichte solcher Bewertungen soll im Folgenden an ausgew?hlten Beispielen ?erz?hlt? werden. 2. Die Standardvariet?t Die Bewertung bestimmter Variet?ten bzw. Varianten als ?gut? bzw. ?schlecht? muss innerhalb eines spezifischen soziohistorischen Kontexts untersucht werden. Die Ent- stehung bzw. die Schaffung einer Standardvariet?t des Deutschen hat das Sprach- wertsystem von DeutschsprecherInnen nat?rlich beeinflusst. Gleichzeitig hat sich der Status anderer Variet?ten im Repertoire in einigen deutschsprachigen Gegenden besser halten k?nnen als in anderen. Obwohl nicht alle SprecherInnen unbedingt dasselbe unter dem Begriff der ?Standardsprache? (auch ?Standardvariet?t?/?Hochsprache?/?Literatursprache? genannt) verstehen,1 kann man wohl davon ausgehen, dass die meisten diese Variet?t als ?berregional verst?ndlich, als prestigereichste Variet?t im sprachlichen Repertoire einer Sprachgemeinschaft und als in formellen Situationen angemessen beschreiben w?rden (vgl. Davies/Langer 2006, 151)2. Die Standardvariet?t genie?t normalerweise mehr Prestige in bestimmten ?ffentlichen, offiziellen und formellen Dom?nen, z. B. im Klassenzimmer. Der Gebrauch nichtstandardsprachlicher regionaler Variet?ten in solchen Dom?nen wird oft verp?nt. Andererseits kann der Gebrauch regionaler Variet?ten in anderen Dom?nen (z. B. in der Familie oder im Freundeskreis) als etwas Positives betrachtet werden, da sie positive Aspekte wie Solidarit?t und Ortsloyalit?t symbolisieren (vgl. die Zitate aus Mannheim oben). In der englischen Soziolinguistik wird diese Art von Prestige als covert prestige (verdecktes Prestige) bezeichnet, w?hrend man overt prestige die Art von Prestige beschreibt, dessen sich die Standardvariet?t durch ihren Gebrauch und ihre F?rderung in den Medien und Institutionen wie der Schule erfreut. Covert prestige hilft uns zu erkl?ren, warum nichtstandardsprachliche Variet?ten trotz Stigmatisierung ?berleben. Marginalie: Logo Baden-W?rttemberg (?Wir k?nnen alles au?er Hochdeutsch?) 1 Dovalil (2006, 59ff.) f?hrt verschiedene Definitionen auf. 2 Die f?r Davies & Langer (2006) befragten Deutschlehrkr?fte scheinen die Standardvariet?t als stilistisch neutral anzusehen, aber die meisten einheimischen Informanten in Mannheim-Neckarau, deren Sprachgebrauch und Spracheinstellungen in Davies (1995) beschrieben werden, betrachteten die Standardsprache als formell und offiziell und als nur in bestimmten Situationen angemessen. 3 Eine Standardvariet?t wird normalerweise auch als einheitlich bechrieben. Das h?ngt mit der ?berregionalen Verst?ndigung zusammen ? viele SprecherInnen glauben, ?berregionale Verst?ndigung k?nne nur mittels einer homogenen Variet?t gew?hrleistet werden. Da es aus verschiedenen Gr?nden einfacher ist, Einheitlichkeit in der Schriftsprache zu erzielen (vgl. Milroy/Milroy 1999, 47ff.), sind einige Experten der Meinung, es gebe keine Standardsprechsprache (vgl. Trudgill 1975, 65ff.; J?ger 1980, 377). Laien andererseits scheinen nicht daran zu zweifeln, dass es eine gesprochene Standardvariet?t des Deutschen gibt, auch wenn sie oft der Meinung sind, sie w?rden sie (fast) nie erreichen: klar ma kann des nadierlisch ned so wie so=n profi, die der vielleichschd vom rheinland odde woher is odde irgend=ne andere gegend gell, denne liegt des ja, denne is=es ja angebore ned von hamburg odde so die gegend ned. (Davies 1995, 95) Verschiedene Arbeiten (z. B. Davies 2000; 2005) zeigen, dass viele SprecherInnen, auch Lehrkr?fte, nicht immer ganz genau wissen, wie die Standardsprache ganz konkret aussieht. Sie sind trotzdem davon ?berzeugt, dass es eine Standardsprache gibt und dass es eine geben sollte. Seitdem es eine kodifizierte (schriftsprachliche) Standardvariet?t gibt, sind die Varianten, die als gut bzw. richtig betrachtet werden, meistens auch diejenigen, die als standardsprachlich angesehen werden.3 Auch wenn sich SprecherInnen dessen selten bewusst sind, ist eine Standard- variet?t immer ein k?nstliches Gebilde, das die Spuren vieler Interventionen seitens Lexikographen und Grammatiker zeigt. Sie intervenierten haupts?chlich um Variation zu beseitigen und eine einzige Alternative als ?richtig? bzw. standardsprachlich zu privilegieren. Gelehrte intervenierten aber nicht nur, um die linguistische Form der Variet?t zu beeinflussen, sondern auch um deren Akzeptanzgrad zu erh?hen und deren Status als Leitvariet?t in der Sprachgemeinschaft aufrechtzuerhalten. Milroy/Milroy (1999, 22) nennen dies die ?maintenance phase? des Standardisierungsprozesses, und diese Phase h?rt eigentlich nie auf, da es immer Spannung geben wird zwischen der jeder nat?rlichen Sprache innewohnenden Variabilit?t und der Standardisierungsideologie, die die Einheitlichkeit als h?chstes Gut aufstellt. Die Verfechter dieser Ideologie m?ssen die Vorteile einer einheitlichen Standardvariet?t st?ndig hervorheben. Variation ist zunehmend als Problem statt als Ressource dargestellt worden. Diese Ideologie hat sich in Deutschland ab dem Ende des 15. Jhs. allm?hlich ausgebreitet (Mattheier 2003, 219f.) und die fr?here Toleranz gegen?ber linguistischer Variation verdr?ngt. Um eine Variet?t aufzuwerten, werden oft andere Variet?ten und Varianten abgewertet, d.h. die Gestaltung der Standardvariet?t geht mit der Schaffung von ?schlechtem Deutsch? einher. Die Intoleranz entstammt zum Teil der Auffassung, eine moderne, leistungsf?hige Gesellschaft brauche eine einheitliche, ?berregionale Sprachform. Es stellt sich aber die Frage, ob eine elastischere Norm in der Tat der ?berregionalen Verst?ndigung so viel schadete. Dazu kommt das Problem, dass gesprochene Sprache nicht mit denselben Ma?st?ben gemessen werden sollte wie Schriftsprache. Schriftliche Texte sind relativ kontextfrei und sollten klar und 3 N.B. Wie wir unten sehen werden, sind nicht alle von den Sprechern f?r standardsprachlich gehaltenen Varianten auch als solche in den Regelwerken aufgelistet. 4 unzweideutig sein, aber gesprochene Interaktionen unterliegen zum Teil anderen Regeln, obwohl dies nicht immer anerkannt wird.4 3. Wie und von wem wurden Varianten eliminiert? Wenn sich die Grammatiker und die Lexikographen des Deutschen der Standard- ideologie und damit der Auffassung verschrieben hatten, dass Variation zu eliminieren sei, mussten sie sich, wo immer es Alternativen gab, f?r eine grammatische Form bzw. ein einziges Wort entscheiden. Redundanz sollte auf jeden Fall vermieden werden, d.h. eine sprachliche Form bzw. eine grammatische Form oder ein Wort sollte nur eine Bedeutung oder Funktion haben. Dieses Prinzip ist uralt, aber besonders wichtig im Standardisierungsprozess, da es die Variantenreduktion rechtfertigt. Wie Keller (1978, 500ff.) zeigt, gab es viel Arbeit f?r die Grammatiker und Lexikographen. Bei vielen Konstruktionen herrschte noch im 18. und z. T. auch noch im 19. Jh. Unsicherheit dar?ber, welche die ?richtige? Form sei, z. B. du lobest oder du lobst?, der oder die Bach?, die Wagen oder die W?gen?, Weibgen, Weibchen oder Weiblein? Marginalie: Kasten 3 (?Variation im 18. Jh.?) J?ger beschreibt das Auswahlverfahren wie folgt: Einzelne Gelehrte oder Gelehrtenschulen haben anhand ihres eigenen Sprach- gef?hls, gelegentlich auch nach dem Vorbild anerkannter Schriftsteller, Regeln f?r den richtigen Gebrauch der Sprache aufzustellen versucht. Die Kriterien fur die Erarbeitung von Regeln waren sehr verschieden. (J?ger 1980, 377) Er listet dann folgende Kriterien auf: Logik, Sprachentwicklung, Wohlklang, Sprach- echtheit, Sprachreinheit (J?ger, ebd.). Gloy (1975, 72ff.) f?hrt auch Kriterien auf, die seit Jahrhunderten verwendet werden, um Sprache zu bewerten: Strukturgem??heit der Sprachvariet?ten im Sprachsystem (Passen sie zur Sprache?), traditionalistisch- historische Qualit?t der Sprachvariet?ten (Wie alt sind sie?), moralische Qualit?t der Sprachvariet?ten, Zweckm??igkeit im Hinblick auf verst?ndliches Sprechen (Werden sie von vielen Menschen verstanden? Sind sie deutlich genug?), Belegbarkeit im faktischen Sprachgebrauch (Werden sie von vielen Menschen verwendet?5). Manchmal wird auch ein ?sthetisches Kriterium angewandt: Ist eine bestimmte Variante/Variet?t ?sch?n?? Unten wird anhand von zwei Fallstudien die Anwendung einiger dieser Kriterien in der Praxis untersucht. Seit dem 17. Jh. und besonders ab dem 19. Jh. sind zahlreiche Sprachratgeber erschienen Wer hat solche Werke geschrieben? Das Selbstverst?ndnis von Sprachwissen- schaftlerInnen hat sich im Laufe der Jahre ge?ndert ? im 17. und 18. Jh. machten Experten keinen Hehl daraus, dass sie das bestm?gliche Deutsch schaffen wollten, und sie verwendeten wertende Attribute wie ?gut?, ?schlecht?, ?sch?n?, und ?h?sslich?. Im 19. Jh. aber fing die Sprachwissenschaft mit der Wende zur historischen Sprach- wissenschaft an, sich von solchen Urteilen zu distanzieren. Da aber viele Sprecher- 4 Vgl. den Beitrag von Hennig in diesem Heft. 5 In der Praxis geht es normalerweise darum, ob die ?richtigen? Sprecher sie verwendet, z. B. ?gute? Autoren. 5 Innen noch wissen wollten, was richtig oder falsch sei, haben andere den Bedarf zu decken versucht, oft Lehrer. Pr?skriptive Werke mit einer praktischen Ausrichtung sind heute noch gefragt und werden immer noch zum gro?en Teil von LaienlinguistInnen geschrieben, d. h. von AutorInnen, die, auch wenn sie Sprachwissenschaft oder Germanistik studiert haben, trotzdem keine professionellen SprachwissenschaftlerInnen sind und auf die von diesen angestrebte Objektivit?t verzichten. Aktuelle Beispiele f?r solche Werke sind ?Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Folge 1 & 2? von dem Journalisten Bastian Sick (Sick 2004 & 2005). Deren Beliebtheit spiegelt sich in den Verkaufszahlen wider: Laut www.amazon.de (aufgerufen am 23.1.07) sind bereits knapp 2.000.000 Exemplare des ersten Bandes verkauft worden. Marginalie: Titelbild des Buchs von Sick (2004) Ein Sonderfall bildet die ?Duden-Grammatik?, die zwar von Sprachwissen- schaftlern geschrieben wird, aber trotzdem nicht auf ?eine gewisse normative Geltung? verzichten will (?Duden-Grammatik? 1998, 5). Im Folgenden werden wir anhand von zwei Fallstudien analysieren, wie eine Aus- wahl von pr?skriptiven Werken im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte ihren Beitrag dazu geleistet hat, Variation zu eliminieren und ?schlechtes? Deutsch zu konstruieren. Die Daten wurden im Rahmen eines Projektes ?ber die Entstehung von stigmatisierten Formen im Deutschen erhoben (vgl. Davies/Langer 2006). Seitdem der Deutschunterricht im schulischen Lehrplan fest verankert ist (was erst seit dem sp?ten 18. Jh. der Fall ist, vgl. Davies/Langer 2006, 5.1), wird es als selbstverst?ndlich angesehen, dass LehrerInnen die Normen der Standardvariet?t vermitteln. Ammon (2003, 3) beschreibt sie als Sprachnormautorit?ten, d.h. als Personen, die das Recht bzw. die Verpflichtung haben, das Sprech- oder Schreib- verhalten von anderen zu korrigieren und deren Korrekturen normalerweise ernst genommen werden. Die Bezeichnung legt auch nahe, dass sie genau wissen, was ?richtig? ist und was nicht. Im 19. und fr?hen 20. Jh. hing die Rolle der LehrerInnen in Wirklichkeit von der Schulart ab. Die meisten Kinder besuchten nur eine Volksschule und verlie?en die Schule mit ungef?hr 12?14 Jahren. Laut Jordan (2000, 176?178) unterschieden sich Deutschstunden an einer Volksschule von denjenigen an einem Gymnasium dadurch, dass auf der Volksschule viel Wert auf den Erwerb der Standardsprache gelegt wurde, da der gr??te Teil der Sch?lerInnen sie nicht zu Hause sprach. Elspa? (2005) hat Briefe untersucht, die im 19. Jh. von deutschen AuswanderInnen in den USA an Ver- wandte und Freunde zu Hause geschrieben wurden. Seine Untersuchung enth?lt Indizien auf die unterschiedliche Normkenntnis von Lehrenden an Gymnasien und Volksschulen und den unterschiedlichen Inhalt ihres Unterrichts. Sie zeigt, dass die Grammatik in den Briefen von AutorInnen mit h?herer Schulbildung der literarischen Prestigenorm der Zeit entspricht, wohingegen die weniger gebildeten SchreiberInnen ? einschlie?lich der VolksschullehrerInnen ? oft von dieser Norm abweichen. Meine eigenen Untersuchungen (z. B. Davies 2000; 2005) zeigen, dass das Normwissen von Deutschlehrkr?ften auch heute nicht unbedingt mit dem Inhalt der Regelwerke ?bereinstimmt und dass sie nicht immer so normkonform handeln, wie von ihnen erwartet wird. 6 4. Fallstudie I: Temporales wo Wo wird im modernen Deutsch sowohl als lokales wie auch als temporales Relativadverb verwendet, z. B. (i) Ich sah ihn da, wo das Spiel stattfindet und (ii) Ich sah ihn an dem Tag, wo das Spiel stattfand. Viele SprecherInnen meinen aber, der temporale Gebrauch sei ?schlecht?, z. B. behaupteten 52% der befragten RealschullehrerInnen in S?ddeutschland, sie w?rden temporales wo immer korrigieren, wenn Sch?lerInnen es verwendeten (Davies 2000). In einer zweiten Untersuchung, diesmal mit Gymnasiallehrkr?ften in S?ddeutschland, behaupteten 78% der Informanten, temporales wo sei nicht standardsprachlich (Davies 2005). Dieses negative Werturteil stimmt mit dem Urteil der Verfasser einiger laienlinguistischer Werke ?berein. Den folgenden sarkastischen Kommentar findet man in Illgner (2001): Mit seiner allgemeinen Relativit?tstheorie von 1915 ?berfordert Albert Einstein immer noch das Denkverm?gen der meisten Menschen. Wohl deshalb hat man in deutschen Landen die Raumzeit aus fernen Galaxien in den irdischen Alltag heruntergeholt. Da hei?t es dann immer wieder: In dem Augenblick, wo ... (Illgner 2001, 93) Ironischerweise wird die Konstruktion vom Duden, der oft als h?chste Instanz bei sprachlichen Zweifelsf?llen betrachtet wird, obwohl von keiner staatlichen Stelle offiziell zugelassen oder anerkannt, ausdr?cklich als standardsprachlich beschrieben: Sie [die Partikel wo] kann aber auch als relativischer Anschlu? gebraucht werden, wenn es sich nicht um einen r?umlichen, sondern um einen zeitlichen Bezug handelt: in dem Augenblick, wo... (statt als oder in dem) oder zu dem Zeitpunkt, wo (statt: als oder zu dem ...). (?Duden. Richtiges und gutes Deutsch? 2001, 944) In diesem Fall scheinen die Urteile in laienlinguistichen Werken dem Sprach- gef?hl vieler SprecherInnen viel eher zu entsprechen als die Urteile in von Experten verfassten Werken (wie dem Duden). Das ist nichts Neues. Im 19. Jh. argumentiert Wustmann (1891, 150) f?r temporales wo, bemerkt aber, dass wenige SprecherInnen w?ssten, dass es grammatisch richtig sei, und sich getrauten es zu schreiben. Er behauptet auch, die Konstruktion mit wo (z. B. seit dem 19. M?rz, wo die neue Bewegung begann) sei sch?ner als das ?ungeschickte, dem Lateinischen nachgeahmten seit dem 19. Marz, an welchem Tage? (ebd.). Noch in der letzten Auflage der ?Sprachdummheiten? (1966, 98) wird dar?ber geklagt, dass temporales wo nicht oft genug verwendet werde. HIER Kasten 4 (?Wustmann?) Temporales wo ist ein interessanter Fall, da es schwierig ist festzustellen, woher das Stigma kommt. Ein Blick in die pr?skriptiven Grammatiken des 19. Jhs. zeigt uns, dass es vor Sanders (1882) anscheinend keine Stigmatisierung gibt (vgl. Davies/Langer 2006, 128f.). Auch Sanders beschreibt den Gebrauch von wo nicht als falsch, nur als weniger richtig. Wir finden auch wenige Begr?ndungen f?r wo im temporalen Sinn, aber Wustmann (1903, 118) leitet die Richtigkeit von wo von seinem Status als 7 ?deutscherer? Form ab. Es sei gut, einfach und nat?rlich ? Attribute, die positive ?deutsche? Eigenschaften bezeichnen. Noch in Wustmann (1966, 98) wird das Ad- jektiv ?undeutsch? f?r Konstruktionen ohne wo verwendet und es wird behauptet, die Konstruktion mit wo sei hundertmal sch?ner als andere Konstruktionen. Hier wird eine Variante danach beurteilt, wie gut sie dem System der deutschen Sprache passt. Im Fall des temporalen wo sieht es aus, als ob eher die Laien und nicht die SprachwissenschaftlerInnen (z. B. die HerausgeberInnen der Duden-B?nde) die NormenmacherInnen gewesen w?ren. Sie haben temporales wo zum ?schlechten? Deutsch gemacht und tradieren dieses Werturteil (vgl. die Untersuchungen mit den Lehrkr?ften in Davies 2000; 2005). 5. Fallstudie II: s-Plural Laut ?Duden-Grammatik? (2005, 182ff.) bilden heutzutage folgende Substantive ihre Pluralformen standardsprachlich mit s: (i) einheimische und fremde W?rter, die auf betonten oder unbetonten Vollvokal ausgehen, z. B. Auto, Oma;6 (ii) W?rter fremder Herkunft, die auf einen betonten Vollvokal ausgehen, z. B. Komitee, B?ro; (iii) einige Fremdw?rter, die auf Konsonanten ausgehen, z. B. Hotels, Bars; (iii) einige W?rter niederdeutscher Herkunft, z. B. Wracks. In vielen F?llen konkurriert bei Maskulina und Neutra eine Pluralform auf s mit anderen Pluralformen, z. B. die Onkel/die Onkels; die Jungen/die Jungens; die Pizzen/die Pizzas. Der s-Plural wird in letzter Zeit immer ?fter verwendet, findet aber nicht bei allen SprecherInnen Akzeptanz. In einer Sammlung sprachkritischer Zeitungsglossen aus den 1960er Jahren wies Benckiser auf die negative Einstellung vieler SprecherInnen gegen?ber dieser Konstruktion: Die Abneigung gegen diese Mehrzahl-Endung ist tief eingewurzelt, und sie wird von manchen als Verderbnis aus dem Angels?chischen mit Jazzmusik und Twist gleichgesetzt. (Benckiser 1964, 167) Der ?Duden. Richtiges und gutes Deutsch? (2001, 671) behauptet, dass ?[a]uf -s gebildete Plurale von deutschen W?rtern [...] vielfach getadelt? werden. Pluralformen auf -s existieren im Deutschen seit dem 17. Jh., und im 17. und 18. Jh. kommen sie oft vor, in erster Linie mit Substantiven aus dem Niederdeutschen, dem Niederl?ndischen und dem Franz?sischen. Die Grammatiker und Lexikographen erw?hnen sie aber kaum, wahrscheinlich weil sie damals als Randformen angesehen wurden, die ganz klar nicht zur sich entwickelnden Standardvariet?t geh?rten. Heynatz (1777, 159) zum Beispiel mag sie auch bei entlehnten Substantiven nicht und zieht Formen wie Grenadiere und Officiere vor (statt Grenadiers und Officiers). Demgegen?ber kommt die Konstruktion im 19. und fr?hen 20. Jh. in fast jeder Grammatik und jedem Sprachratgeber vor und wird konsequent negativ bewertet, z. B. Heyse (1838, 467) beschreibt sie als ?verwerflich? und Matthias (1906) bef?rchtet: da? es [= dieses Mittel, die Mehrzahl zu bilden, WD] dem lebendigen deutschen Sprachgef?hle widerlich, dem abgstumpften gef?hrlich werden mu? und daher im allgemeinen unbedingt gemieden zu werden verdient. (Matthias 1906, 48) 6 Da heute viele abgek?rzte W?rter auf vollen Vokal enden, ist diese Pluralbildung besonders produktiv (Gl?ck & Sauer 1997, 56f.). 8 In Werken aus dieser Zeit setzen sich die Verfasser mit zwei Fragen auseinander: (i) Ist der s-Plural standardsprachlich? (ii) Ist der s-Plural ?berhaupt deutsch? Heutzutage wird er im Gro?en und Ganzen (und auf jeden Fall von Sprachwissen- schaftlerInnen) schon als Teil des Systems der deutschen Sprache angesehen, auch wenn man sich nicht immer dar?ber einig ist, welche Formen zur Standardsprache ge- h?ren. Wegener (2003, 125) z. B. beschreibt Tunnels als nichtstandardsprachliche norddt. Form, w?hrend es vom ?Duden. Richtiges und gutes Deutsch? (2001, 836) als standardsprachlich akzeptiert wird. Diese Pluralform wird nicht mehr nur als ?ber- gangssphase vor der Annahme eines ?deutschen? Pluralsuffixes betrachtet (z. B. Offiziers ? Offiziere ). Das am h?ufigsten angef?hrte Argument gegen den Gebrauch des s-Plurals ist, dass er fremd (dem System des Deutschen nicht gem??) und kein authentisch deutsches Suffix sei, z. B. hie? es laut Wustmann (1891, 40) in einer bekannten deutschen Elementargrammatik: ?[K]ein deutsches Wort hat im Plural ein s in der Endung?, und er kommentiert das so: ?[D]iese Regel ist ganz richtig?. Das Adjektiv ?fremd? taucht oft in Werken aus dem 19. und fr?hen 20. Jh. auf, um diese Plural- bildung zu beschreiben. Au?erdem wird oft unterschieden zwischen dem akzeptablen Gebrauch des s-Plurals mit nicht eingedeutschten Entlehnungen und dem un- akzeptablen Gebrauch mit sogenannten einheimischen deutschen W?rtern oder sogar mit W?rtern franz?sischer oder englischer Abstammung, die als ins Deutsche assimiliert angesehen wurden, z. B. Offiziere (vgl. Davies/Langer 2006, 137f.). Noch Zifonun (2002, 5) schreibt, dass der s-Plural als typischer Fremdwortplural gelte und nicht unbedingt f?r Integration spreche. Die Etikettierung von Vokabeln und anderen linguistischen Konstruktionen als fremd oder einheimisch bzw. deutsch hat eine wichtige Rolle in Deutschland gespielt, viel wichtiger als in anderen Sprachgemeinschaften, z. B. in England. Fremdw?rter- b?cher werden immer noch herausgegeben und man findet die Kategorie Fremdwort sowohl in wissenschaftlichen als auch in laienlinguistischen Grammatiken. Offen- sichtlich werden die Kategorien fremd und einheimisch noch als wichtig betrachtet. In einem Lehrbuch aus den 1960er Jahren wird die Unterscheidung noch aufrecht er- halten: ?Deutsche W?rter haben kein Plural-s? (J?gel 1966, 74). HIER Kasten 5 (?J?gel 1966?) Wenn zeitgen?ssische Sprachratgeber und Regelwerke die Konstruktion ablehnen, dann meistens aus stilistischen Gr?nden ? sie wird als umgangssprachlich (informell) oder regionalsprachlich (auf Norddeutschland begrenzt) angesehen. W?hrend heute Situationsangemessenheit als Kriterium angewandt wird, hing die Bewertung dieser Form im 19. Jh. mit Einstellungen gegen?ber den BenutzerInnen dieser Form zusammen. Der s-Plural bei W?rtern wie Onkels und Jungens wurde als volkst?mlich oder volkssprachlich beschrieben, d.h. als typisch f?r ungebildete Menschen, deren Sprachgebrauch auf keinen Fall als vorbildlich galt. Der einzige sprachliche Grund f?r die Stigmatisierung des s-Plurals, der sich finden l?sst, war Redundanz: Laut Keller (1879, 40) sei das s ?berfl?ssig, weil W?rter wie Jungen schon im Plural stehen. Solche Argumente haben eine lange Tradition. Adelung (1782) war sogar der Meinung: 9 Eine gedoppelte deutliche Bezeichnung eines und eben desselben Verh?ltnisses ist eigentlich in allen Sprachen ein Fehler, weil die Natur alle unn?thige Weit- l?ufigkeit fliehet. (Adelung 1782, 347) Wenn diese Behauptung wahr w?re, m?sste man den Schluss ziehen, dass jede Sprache unnat?rlich sei und gegen die Gesetze der Natur versto?e, weil jede Sprache vor allem, aber nicht nur in ihrer gesprochenen Form viel Redundanz vertr?gt, ohne dass sie dabei weniger effizient w?re. Wir finden kaum Argumente f?r den Gebrauch des Plural-s in laienlinguistischen Werken. Manchmal spekulieren die VerfasserInnen dar?ber, warum der s-Plural so beliebt ist, und nehmen meistens an, dass SprecherInnen von einem Ver- deutlichungstrieb angespornt werden, d.h. sie wollen Formen wie Onkel oder Fr?ulein mit einer klaren Pluralendung versehen: Onkels, Fr?uleins. Der Kontakt mit Niederdeutsch im Norden bedeutet, dass dort das urspr?ngliche niederdeutsche Plural- s zur Verf?gung steht, w?hrend man im S?den eher umgelautete Formen verwendet, um den Plural deutlicher zu markieren: W?gen, Kr?gen, T?g(e). Es f?llt auf, dass das Kriterium ?Zweckm??igkeit im Hinblick auf verst?ndliches Sprechen? (Gloy 1975, 78) (das mit Deutlichkeit zusammenzuh?ngen scheint), in diesem Fall seitens der pr?skriptiven Grammatiker auf wenig Sympathie st??t, obwohl die Anwendung dieses Kriteriums im Hinblick auf Pluralformen mit s auch bedeutet, dass das Prinzip ?eine Form f?r eine Funktion? befolgt wird (Bengel = sg.; Bengels = pl.), das in anderen Kontexten so beliebt ist. Man sieht, dass die von Gloy (1975) angef?hrten Kriterien von den am Standardisierungprozess beteiligten Grammatikern selektiv angewendet werden. In diesem Fall k?nnen wir annehmen, dass die regionale F?rbung der Form und die Assoziierung mit ?Fremdheit? und mit Sprechergruppen, die nicht als vorbildlich angesehen werden, mehr Gewicht haben als das Kriterium der Deutlichkeit. Dass man trotzdem das starke Bed?rfnis sp?rt, die Regel ?eine Form f?r eine Funktion? zu befolgen, wird durch Kellers (1879) Behauptung, es gebe einen Unterschied zwischen Kerls und Kerle, veranschaulicht.7 6. Fazit Den bisherigen Ausf?hrungen kann man entnehmen, dass die von Gloy (1975) aufgelisteten Kriterien, mit denen Grammatiker seit Jahrhunderten ihre Ent- scheidungen begr?nden, nicht immer konsequent angewendet werden. Wenn die Kriterien miteinander in Konflikt geraten, m?ssen die Grammatiker entscheiden, welchem Kriterium sie den Vorrang geben wollen. Eine objektiv bestimmbare Hierarchie gibt es nicht. Au?erdem haben wir gesehen, dass die Stigmatisierung bestimmter Varianten als ,schlechtes Deutsch? Teil einer langen Tradition ist, die sich ?ber Jahrzehnte der Grammatikschreibung erstreckt. Es ist Teil des Standardisierungsprozesses und tr?gt zur Aufrechterhaltung der Standardsprache bei. Es ist auch klar geworden, dass die Regelwerke und das Normwissen der Sprech- erInnen nicht immer ?bereinstimmen, was die Vorstellung einer einheitlichen, ?berall g?ltigen Standardsprache relativiert. 7 Laut Keller (1879, 40) bedeutet Kerls das ?Entartete, Gef?hrliche, Abenteuerliche?, w?hrend Kerle das ?St?mmige, Urkr?ftige? ausdr?ckt. 10 7. Anregungen f?r den Unterricht 1. Die folgenden Konstruktionen werden in der Literatur oft als Zweifelsf?lle be- zeichnet, d.h. die SprecherInnen sind sich nicht sicher, welche Variante richtig ist. Finden Ihre Sch?lerInnen diese Bezeichnung gerechtfertigt oder finden sie, dass es ganz klar ist, welche Variante richtig ist? Gibt es andere Konstruktionen, die Ihre Sch?lerInnen als Zweifelsf?lle bezeichnen w?rden? Sie k?nnten eine Umfrage bei Mitsch?lerInnen/Familienmitgliedern/NachbarInnen durchf?hren, um herauszufinden, wie sie urteilen.8 HIER Kasten 6 (?Beispiels?tze Fragebogen?) Das ist meinem Kind sein Vater / Das ist der Vater meines Kindes. Wegen dem Regen bleibe ich zu Hause / Wegen des Regens bleibe ich zu Hause. Sie ist viel gr??er als ihre Schwester / Sie ist viel gr??er wie ihre Schwester. Ich kenne diese Frau mit langem braunem Haar / Ich kenne diese Frau mit langem braunen Haar. Du brauchst heute nicht arbeiten / Du brauchst heute nicht zu arbeiten. Ich war lange an der Haltestelle gestanden, bevor der Bus kam / Ich hatte lange an der Haltestelle gestanden, bevor der Bus kam. John F. Kennedy wurde 1963 ermordet / John F. Kennedy wurde in 1963 ermordet. Ich sah ihn an dem Tag, wo er das Spiel gewann / Ich sah ihn an dem Tag, als er das Spiel gewann. Es gibt viele Tunnel in den Alpen / Es gibt viele Tunnels in den Alpen. Anfang dieses Jahres schneite es heftig in Wales / Anfang diesen Jahres schneite es heftig in Wales. Die Frau, wo mir das gesagt hat, ist weg / Die Frau, die mir das gesagt hat, ist weg. 2. Wenn Sie und ihre Sch?lerInnen Zugang zu einer Auswahl von Schulb?chern/Grammatiken/Sprachratgebern haben, k?nnen Sie herausfinden, wie viele der oben genannten Konstruktionen darin vorkommen. Wie werden sie bewertet? Haben sich die Bewertungen im Laufe der Jahre ge?ndert? 3. Sind die Sch?lerInnen der Meinung, dass temporales wo falsch sei? Wenn ja, warum? Wenn nicht, k?nnen sie verstehen, warum sie von vielen SprecherInnen als falsch betrachtet wird? Finden sie es plausibel, dass SprecherInnen das Prinzip ?eine Form f?r eine Funktion? anwenden, um die negative Bewertung zu begr?nden? Welches Kriterum k?nnte angewendet werden, um temporales wo in die Standardsprache zu erheben? K?nnen sie Beispiele finden, wo das Kriterium ?eine Form f?r eine Funktion? anscheinend nicht angewendet wurde? Hatte das negative Folgen f?r die Sprache? 4. Fragen Sie die Sch?lerInnen, ob sie folgende Pluralformen f?r richtig halten: Onkels, Bengels, Tunnels, Jungs, Jungens, Fr?uleins, W?gen, Kr?gen, T?ge, T?g, B?gen, W?gelchen, Stiefeln, Tr?ffeln, Kommas, Kommata. Die Sch?lerInnen sollen sich ?berlegen, warum so viele SprecherInnen die Pluralformen, die in Regelwerken als falsch bezeichnet werden, benutzen. Welche Funktion haben sie? Warum werden sie als nichtstandardsprachlich bewertet? Welche Kriterien werden angewendet? 8 Die Umfrage in Davies (2000) oder (2005) kann als Muster dienen. 11 5. Die Kriterien ?Sprachechtheit? und ?Sprachreinheit? werden von J?ger (1980) er- w?hnt und sie werden bei der Bewertung des s-Plurals und von temporalem wo ver- wendet (eine Form ist ?deutscher? als eine andere). Wie n?tzlich ist dieses Kriterium? Wissen alle SprecherInnen, welche Konstruktionen fremd sind und welche ?echt? deutsch sind? Welche W?rter/Konstruktionen in folgender Liste w?rden die Sch?ler- Innen als ?deutsch? bezeichnen? Was macht ein ?deutsches? Wort aus? in 1987, die Wracks, die Bibliothek, die Kirche, die Literatur, der Markt, die Grenze, die Glocke, der Pudding, der Film, die Natur, die Autos, die Luftbr?cke, das Buch, der Fisch, die Puddings, die Frau, die Dame, die Puddinge, der Ablaut, die Manager, die Tempos. Warum war das Kriterium der ?Sprachreinheit? so wichtig in Deutschland? Ist es immer noch wichtig (Beispiele finden)? 6. Fr?her wurden die klassischen Autoren und andere ?gute? Autoren als Vorbilder an- gesehen, und Beispiele aus deren Werken wurden oft gebraucht, um ?gutes? Deutsch zu exemplifizieren. Woher kommen die Beispiele in modernen Lehrb?chern/Grammatiken? Wessen Gebrauch wird von den Sch?lerInnen selbst als vorbildlich angesehen? Wenn man das Kriterium ?Belegbarkeit im Sprachgebrauch? in den F?llen temporales wo und s-Plural anwenden w?rde, was w?re das Ergebnis? Die Sch?lerInnen k?nnten ein kleines Textkorpus erstellen (d.h. eine nach vorgegebene Kriterien angefertigte Sammlung von Texten), um das Vorkommen der Konstruktion zu erforschen (sie k?nnten z. B. Zeitungstexte untersuchen ? viele sind im Internet erh?ltlich, z. B. www.taz.de ? oder literarische Werke, z. B. bei http://gutenberg.spiegel.de). 7. Was verstehen die Sch?lerInnen unter volkst?mlich oder volkssprachlich? Kann man diese Etikette immer noch verwenden? Warum/warum nicht? Wenn ja, welche Konstruktionen w?rden sie heutzutage als volkst?mlich oder volkssprachlich be- zeichnen? Literatur 1. Prim?re Werke (Grammatiken, Ratgeber) Adelung, Johann Christoph. 1782. Umst?ndliches Lehrgeb?ude der deutschen Sprache zur Erl?uterung der Deutschen Sprachlehre f?r Schulen. Bd II. Leipzig (Nachdruck Hildesheim 1971). Benckiser, Nikolas (1964): Sprache - Spiegel der Zeit. Dritte Folge der Glossen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ?ber gutes und schlechtes Deutsch. Frankfurt am Main. 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Wustmann, Gustav (1903): Allerhand Sprachdummheiten. 3. Aufl. Leipzig. Wustmann, Gustav (1966): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des H??lichen. Ein Hilfsbuch f?r alle, die sich ?ffentlich der deutschen Sprache bedienen. 14., erneuerte Aufl., hrsg. von Werner Schulze. Berlin. 2. Sekund?re Werke Ammon, Ulrich (2003): On the social forces that determine what is standard in a language and on conditions of successful implementation. In: Sociolinguistica 17, 2003, 1?10. Davies, Winifred V. (1995): Linguistic Variation and Language Attitudes in Mannheim-Neckarau. Stuttgart. Davies, Winifred V. (2000): Linguistic norms at school. A survey of secondary- school teachers in a central German dialect area. In: Zeitschrift f?r Dialektologie und Linguistik 67, 2000, 129?147. Davies, Winifred V. (2005): Deutschlehrer und Deutschlehrerinnen (in Deutschland) als Geber und Vermittler von sprachlichen Normen.? 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